Dienstag, 19. Dezember 2017

Krawall-Barbie und die 103 Chaoten


Ein knappes halbes Jahr nach den Ausschreitungen aus Anlass des G 20-Gipfels in Hamburg hat die Polizei Hamburg gestern eine Öffentlichkeitsfahndung gestartet. Angeblich soll es die größte Fahndung dieser Art aller Zeiten sein.

Eine Öffentlichkeitsfahndung darf gem. § 131 Abs. 3 StPO durch einen Richter oder durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden; hier soll es nach Angaben der Polizei richterliche Beschlüsse geben. Voraussetzung ist, dass alle anderen Möglichkeiten der Fahndung weniger Erfolg versprechen und die begangene Straftat "von erheblicher Bedeutung" ist. Nach dem Kommentar von Thomas Fischer sollen das Straftaten sein, die eine Strafrahmenobergrenze von über zwei Jahren haben. Das ist z. B. bei Sachbeschädigung (§ 303 StGB) nicht der Fall. Außerdem muss die Maßnahme - wie alle Verwaltungsakte - verhältnismäßig sein.

Auf der Homepage der Polizei sind Filme und Bilder zu sehen. In den wenige Minuten langen Filmen - z. B. von der Überwachungskamera in einem Drogeriemarkt - sind Menschen zu sehen, von denen einige zweifellos auch Straftaten begehen. Des weiteren gibt es - häufig vergrößerte - Fotos bestimmter gesuchter Personen, wobei nicht alle Bilder den Filmausschnitten eindeutig zuzuordnen sind; man weiß also nicht sicher, weshalb die auf dem jeweiligen Foto dargestellte Person gesucht wird.

Da kann man über die Verhältnismäßigkeit sicherlich diskutieren. Vielleicht hätte man vorher auch etwas länger darüber nachdenken sollen, was die Presse daraus machen würde.

So zeigt ein bekanntes täglich erscheinendes Periodikum auf seiner Titelseite heute das Foto einer jungen Frau (blond) im bauchfreien Top mit den Worten: "Die Polizei sucht diese Krawall-Barbie". Etwas kleiner heißt es dann "...und 103 weitere G 20-Chaoten", darüber steht: "So jung, so voller Hass". Diese Form der Verarbeitung ist angesichts der Erfahrungen mit der Tagespresse irgendwie überhaupt nicht überraschend und man kann sich kaum vorstellen, dass derlei Prachtstücke modernen Journalismusses von der Polizei nicht zumindest bewusst in Kauf genommen wurden.

Jeder wird sich dazu seine eigene Meinung bilden müssen.


10 Kommentare:

  1. Zitat: "die eine Strafrahmenobergrenze von über zwei Jahren haben. Das ist z. B. bei Sachbeschädigung (§ 303 StGB) nicht der Fall. "

    Welche Tatvorwürfe werden den G20-Randalierern denn gemacht, Herr Nebgen? Einfache Sachbeschädigung oder doch so etwas wie schwerer Landfriedensbruch? Zumindest für die Plünderungen dürfte nach §§ 125, 125a S. 1 Nr. 4 StGB ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahre einschlägig sein. Von daher frage ich mich und Sie, wie Sie hier ernsthaft die "Verhältnismäßigkeit" der Fahndungsmaßnahme in Zweifel ziehen können.

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    1. An welcher Stelle hat Herr Nebgen die "Verhältnismäßigkeit" denn in Zweifel gezogen? Er hat sie maximal als "diskussionswürdig" bezeichnet.

      Das Delikt der "Sachbeschädigung" hat Herr Nebgen lediglich als Beispiel herangezogen, um zu erläutern, in welchem Fall eine Öffentlichkeitsfahndung nicht zulässig wäre.

      Vielleicht lesen Sie sich den Beitrag noch einmal durch?

      Beste Grüße

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    2. Was ist denn der Unterschied zwischen "diskussionswürdig" und in Zweifel ziehen? Warum nennt denn Herr Nebgen als Beispiel für einen Strafrahmen "Sachbeschädigung", wenn die G20-Randalierer aber schweren Landfriedensbruch begangen haben?

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    3. Hallo, danke für die Antwort. Sie werden verstehen, dass ich Ihre erste Frage nicht beantworte - aus Niveaugründen. Auch Ihnen zuliebe :-) Vielleicht hilft auch der Duden weiter. "D" wie Diskussion und "Z" wie Zweifel. Sie schaffen das schon! Sollte sich Ihnen der Unterschied auch dann nicht auftun, melden Sie sich gerne.

      Auch die zweite Frage erklärt sich a) aus dem Beitrag selbst und b) aus meiner Antwort auf Ihren ersten Beitrag. Herr Nebgen hat das Delikt der "Sachbeschädigung" als Beispiel herangezogen, wann eine Öffentlichkeitsfahndung nicht verhältnismäßig wäre. Er hat das sogar noch gekennzeichnet. Die Abkärzung "z.B.", die er benutzt hat, steht für "zum Beispiel" sozusagen eine semantische Auszeichnung. Offenbar aber nicht ausdrucksstark genug, um den einen oder anderen Beißreflex zu verhindern :-)

      Und natürlich ist diese neue Dimension der Öffentlichkeitsfahndung diskussionswürdig - dass heißt aber noch lange nicht, dass sie falsch ist. Wenn man nicht diskutiert, entwickelt man sich nicht fort. Und es ist durchaus eine Diskussion wert, ob der rechtliche Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung anders gestaltet werden muss - und zwar für die, die diese Maßnahme nutzen, um populistisch eine Auflagensteigerung zu erreichen ("Krawallbarbie"). Und genau das ist meiner Meinung nach auch des Pudels Kern des von Ihnen unverstandenen Beitrages.

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    4. Naja, @MaHu, ich weiß jetzt nicht, wo das hohe Ross herkommt, dass Sie meinen, beurteilen zu können, ob ich den Beitrag von Herrn Nebgen richtig verstanden habe oder nicht. Sie reiten sehr auf einzelnen Wörtern herum. Ich lese diesen Blog schon länger und habe deshalb halt mein Vorwissen, was die politische Meinung der Person Christoph Nebgen angeht. Wenn ein Fachanwalt für Strafrecht mit dem Beispiel Antrags- und Privatklagedelikt Sachbeschädigung um die Ecke kommt, obwohl es um schwere Straftaten wie Landfriedensbruch und teilweise Mordversuche (Gehwegplatten vom Dach auf Polizisten schmeißen etc.) geht und zum Schluss dann noch böse Absicht unterstellt wird, obwohl die Presse frei ist, dann zähle ich eben 1 und 1 zusammen. ;) Frohe Feiertage und einen guten Rutsch.

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    5. @fernetpunker: Bei Ihrer Zählweise ergibt 1+1 aber leider 3. In Ihrer Welt ist das aber sicherlich ok, von daher kann auch ich damit leben. Daher sei an dieser Stelle diese Diskussion von meiner Seite aus beendet.

      Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude mit ihren gesammelten Erkenntnissen über die politischen Meinungen des Herrn Nebgen. Führen Sie auch eine Akte? Sie sind mir schon ein kleiner Sherlock :-)

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    6. https://www.focus.de/regional/hamburg/hamburg-streit-um-g20-fahndung-boehmermann-hat-doch-den-schuss-nicht-gehoert_id_8030537.html

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    7. Das ist ein zwei Tage alter Artikel aus der Hamburger Mopo. Die Stellungnahme von Prof. Karpen war im Original länger und deutlich differenzierter. Seine Einschätzung, dass unbeteiligte Demonstranten, die von einem Grundrecht Gebrauch machen, die Veröffentlichung ihrer Fotos dulden müssten, dürfte er exklusiv haben. Das hat er aber nach meiner Erinnerung so auch nicht gesagt.

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    8. Urteil wg. u.a. schwerem Landfriedensbruch:

      http://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg/drei-jahre-haft-fuer-flaschen-werfer-54421646.bild.html

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  2. Die Verhältnismäßigkeit der Fahndungsmaßnahme wurde neu definiert, denn die Hamburger Polizei gibt selbst zu, dass sie so was noch nie gemacht haben in dieser Größe.

    Mit freundlichen Grüßen Balanceist

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